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Er berichtet von der Preisverleihung im Rahmen des Wettbewerbs "Unbezahlbar
und freiwillig – der Niedersachsenpreis für Bürgerengagement".
Doris Kleinwächter, Ingenieurin der Landvermessung Niedersachsen,
reiste gestern Mittag trotz Urlaubs aus Neustadt an und begrüßte
eine Radfahrergruppe auf Gut Düendorf: Blinde und stark Sehbehinderte
sind in dieser Woche auf den Wegen rund um Hannover unterwegs. Bis zu 100
Kilometern legen sie auf Tandems mit jeweils einem sehenden Piloten zurück.
Von Kleinwächter mit den neu herausgegebenen Radwanderkarten "Hannover
und Umgebung" ausgestattet, radeln sie in hartem Tempo durch Deister,
Celler Land oder wie gestern durch den Nordwesten des Landkreises. Zum zehnten
Male trafen sich die Radler zum Deutschen Tandemtreffen.
Als Pilot mit dabei ist seit acht Jahren Björn Stegemeier. Er kommt
wie Mitfahrer Helmut Irmer aus Hannover. Beide starten alle drei Wochen
zu längeren Touren in die Umgebung. Gestern hatten die beiden wie auch
das Ehepaar Gudrun und Peter Kirschke aus Wolfenbüttel eine Panne:
Aber weder gebrochene Speichen noch eine gerissene Kette führen zum
Abbruch der Tour. Nach den Reparaturen geht es oft wieder auf die Sättel.
Schließlich können die Radler den Landvermessern anschließend
gute Tipps für die nächste Kartenauflage geben. Nach einer Führung
über das Gut Düendorf führte gestern der Weg zur Mittagspause
nach Dedensen.
Ohne Augenlicht aufs Fahrrad unmöglich? Nein, schließlich
gibt es Tandems. Im Team mit einem sehenden Fahrer kann auch der Blinde
zum Radler werden. Seit dem Wochenende touren 20 dieser gemischten Doppel
durch die Region.
VON SVEN HOLLE
HANNOVER. Bereits zum zehntenmal treffen sich blinde und sehbehinderte
Radsport-Freunde aus ganz Deutschland zu einer straff organisierten Tandem-Woche.
"In diesem Jahr sind wir in Hannover die Ausrichter", sagt Organisator
Hans-Jürgen Schrader (58) vom Blinden- und Sehbehindertenverein. Der
blinde Isernhagener sitzt seit dem Auftakt 1991 (Rundfahrt durch Rheinland-Pfalz)
bei jeder Tour im Sattel.
Auf dem Programm stehen Fahrten von bis zu 100 Kilometern Länge pro
Tag stets kombiniert mit Attraktionen aus der Region. Schrader: "Ziele
sind das Steinhuder Meer oder das Bergwerksmuseum in Barsinghausen."
Und natürlich die Expo. Im Vordergrund stehe aber das "sportliche
Gemeinschaftserlebnis".
"Es ist immer eine Fahrt ins Ungewisse", beschreibt Eberhard Blume
(59) aus Neustadt die Gefühlswelt eines blinden Tandem-Copiloten. Man
sei dem sehenden Steuermann "völlig ausgeliefert. Deshalb ist
es wichtig, dass man volles Vertrauen zu seinem Piloten hat."
Blume baut beim Thema sicheres Lenken auf seinen alten Freund Gottfried
Hessler (59) aus Langenhagen. Den kennt er schon aus der Schule. Und später
haben die beiden Männer zusammen bei VW in Stöcken gearbeitet.
Bis Eberhard Blume sein Augenlicht im Stich ließ. Wegen einer Netzhaut-Degeneration
lebt er seit fast zehn Jahren im Dunkeln. "Aber ich wollte mich nicht
in meiner Bude verkriechen."
Als Blume da die Idee des Tandem-Fahrens kam, war Gottfried Hessler sofort
dabei. "Der Job als Pilot ist allerdings gar nicht so einfach",
gibt Hessler Startschwierigkeiten zu. "Das ist ein Gefühl, als
wenn man als langjähriger Autofahrer plötzlich einen Lastwagen
steuern muss." Dabei sei ein Blinder eindeutig der bessere Tandem-Hintermann.
"Wir wollen nicht immer gleich mit lenken und bremsen", erklärt
Hans-Jürgen Schrader. Sein Schwager und Steuermann Hermann Flint (67)
bestätigt: "Mit Sehenden zu fahren, ist viel schwerer."
Das musste er mit seiner Lebensgefährtin am eigenen Leib erfahren:
"Wir wurden uns nicht richtig einig." Das Paar radelt inzwischen
wieder getrennt auf ganz normalen Fahrrädern. "Da kommt es zu
weniger Unstimmigkeiten
"
Nebenbei verrichten die Tandem-Touristen auch wichtige Arbeit für alle
Radfreunde. Sie sind offizielle Tester der neuen Radwanderkarte "Hannover
und Umgebung" der LGN (Landesvermessung
und Geobasis-Information Niedersachsen). Als Gegenleistung spendierte
die LGN einige Gratis-Karten. Schrader: "Damit die Piloten uns Blinde
auch immer ans Ziel bringen. "
Verein braucht noch Begleitpersonen für regelmäßige Treffs |
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Die Tandemgruppe des Blindenvereins trifft sich alle drei Wochen
sonntags zu Tandem-Ausflügen. Und damit keiner aus der Übung
kommt, starten jeden Montag um 17:30 Uhr Kurztouren (Treffpunkt: Tandem-Garage
an der Gandhistraße, Kirchrode). Wer mitradeln will, kann sich
bei Hans-Jürgen Schrader (Telefon 0511/737399) melden. Vor allem
sehende Piloten werden immer benötigt. Touren im Netz: www.geolife.de |